| Veranstaltung: | 49. Vollversammlung |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | 05.2 Kein generelles Verbot von Social-Media |
| Antragsteller*in: | Vorstand |
| Status: | Angenommen |
| Antragshistorie: | Version 2 |
A2: Kein generelles Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige
Antragstext
Der Landesjugendring Thüringen e.V. lehnt ein generelles Verbot von Social Media
für alle unter 16-Jährigen ab. Gleichzeitig bekräftigen wir die dringende
Notwendigkeit, Schutzmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Jugendarbeit,
Schulen, Familien, Politik und Plattformbetreiber müssen gemeinsam Verantwortung
übernehmen, damit junge Menschen die Chancen von Social Media (Information,
Kommunikation, kreativer Ausdruck, digitale Teilhabe) nutzen können, ohne
unnötig gefährdet zu werden.
Der Landesjugendring Thüringen e.V. fordert:
1. Altersbezogene Schutzmaßnahmen
Wir fordern eine altersdifferenzierte Schutzstrategie für die Nutzung sozialer
Medien. Für Kinder unter 13 Jahren sollen eigene Accounts grundsätzlich nicht
zulässig sein, da entsprechende Angebote für diese Altersgruppe ungeeignet sind.
Für junge Menschen zwischen 13 und 17 Jahren müssen Plattformen verpflichtend
jugendgerechte Einschränkungen vorsehen. Dazu gehören der Ausschluss von
Livestreaming, Push-Benachrichtigungen, endloses Scrollen, personalisierter
Werbung, der Verzicht auf individuelle Nutzungsprofile[1] und zusätzliche
Schutzfunktionen für 13- bis 15-Jährige, die eine elterliche Begleitung
erleichtern. Voraussetzung ist eine datenschutzkonforme Infrastruktur zur
Altersverifikation, deren Aufbau auf europäischer Ebene vorangetrieben werden
muss.
2. Keine private Nutzung digitaler Endgeräte in der Schulzeit
Wir fordern, dass das im Thüringer Schulgesetz bereits verankerte Verbot der
Nutzung (privater) digitaler Endgeräte (§ 30 Abs. 3a) einheitlich und konsequent
umgesetzt wird. Ausnahmen dieser Regelungen sind von der Schulkonferenz zu
beschließen. Für die Umsetzung des Verbots sind praktikable Aufbewahrungssysteme
einzurichten.[2]
3. Co-Regulation fördern
Wir fordern verbindliche Standards für Medienbildung in der Lehramtsausbildung,
kontinuierliche Fortbildung aller Lehrkräfte sowie gezielte Programme zur
Qualifizierung von Eltern und Fachkräften in Co-Regulation (zum Beispiel Umgang
mit Nutzungszeiten, Schlaf, Konflikten, Cybermobbing und Cybergrooming).
4. Medienbildung weiter ausbauen
Thüringen ist mit dem Schulfach Medienbildung und Informatik Vorreiter in
Deutschland. Damit allein ist es aber nicht getan. Wir fordern, dass die
Qualität des Unterrichts regelmäßig überprüft und weiterentwickelt wird, dass
Lehrkräfte verbindlich qualifiziert und ergänzende Angebote in Jugendarbeit und
Elternarbeit systematisch gefördert werden. Nur so wird Medienbildung zu einem
dauerhaften und wirksamen Schutzfaktor für junge Menschen.
[1] Individuelle Nutzungsprofile entstehen, wenn Plattformen Daten über das
Verhalten einzelner Nutzer*innen sammeln und daraus ein detailliertes Bild ihrer
Interessen und Gewohnheiten erstellen. Diese Profile dienen der gezielten
Werbung und der individuellen Steuerung von Inhalten.
[2] Vgl. Brailovskaia, et al. (2025). Soziale Medien und die psychische
Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. hrsg. von der Nationalen Akademie der
Wissenschaften Leopoldina, S. 40 & Tagesschau (2024). Handyverbot in Schulen hat
positive Effekte.
Begründung
In einem Gastbeitrag vom 14.08.2025 für die FAZ forderte Ministerpräsident Mario Voigt ein Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige.[1] Er griff damit ein Thema auf, dass gesellschaftlich schon länger kontrovers diskutiert wird.
Als Landesjugendring Thüringen e. V. lehnen wir ein generelles Verbot von Social Media für unter 16-Jährige ab. Ein solches Verbot wäre ein massiver Eingriff in Grundrechte junger Menschen wie Meinungs- und Informationsfreiheit und in das Recht auf digitale Teilhabe.[2] Zugleich ist die Wirksamkeit eines pauschalen Verbots wissenschaftlich nicht belegt. Die Leopoldina macht deutlich, dass es zwar Zusammenhänge zwischen Social-Media-Nutzung und Problemen wie Depressionen, Angststörungen oder Schlafstörungen gibt, aber noch nicht sicher ist, ob Social Media wirklich die Ursache dafür ist.[3] Auch die praktische Umsetzbarkeit eines Verbots bleibt fraglich. Altersangaben lassen sich leicht umgehen, technische Alterskontrollen[4] bergen Datenschutzrisiken und könnten zu Ausweichbewegungen auf weniger regulierte Angebote führen.[5] Soziale Medien sind zudem zentrale Räume für Information, Kommunikation, kreativen Ausdruck und gesellschaftliche Teilhabe.[6]
Gleichzeitig nehmen wir die bestehenden Risiken von Social Media[7] ernst. Exzessive Nutzung kann die psychische Gesundheit beeinträchtigen, etwa durch suchtähnliche Muster, „Doomscrolling“[8] und den Druck permanenter Vergleiche. Cybermobbing, sexualisierte Belästigung, Desinformation und problematische Körperideale sind reale Gefahren, die besonders junge Menschen treffen können. Das liegt nicht daran, dass es Jugendlichen grundsätzlich an der Fähigkeit zur Selbstregulation fehlt. In der Adoleszenz[9] reifen jedoch exekutive Kontrollfunktionen[10] wie die Fähigkeit zur Selbstkontrolle noch aus, während soziale Belohnung und Rückmeldungen durch Peers besonders stark wirken. Diese Kombination erhöht bei intensiver Social-Media-Nutzung die Anfälligkeit für negative Affekte, ungesunde Vergleichsdynamiken und problematische Nutzungsmuster. Schutzfaktoren sind konsistente Co-Regulation[11] durch Eltern und pädagogische Fachkräfte sowie schulische und außerschulische Medienbildung. Ergänzend braucht es aber auch Pflichten für Plattformen. Dazu zählen sichere Standardeinstellungen, transparente und steuerbare Algorithmen, keine personalisierte Werbung, Verzicht auf suchterzeugende Mechaniken und datenschutzkonforme Altersabsicherung.[12]
Eine aktuelle Studie macht deutlich, dass viele junge Menschen selbstkritisch auf ihr Nutzungsverhalten blicken. Eine große Mehrheit sagt, dass sie mehr Zeit in sozialen Medien verbringt, als ihnen guttut. Ein Drittel empfindet die Nutzung sogar als erheblich belastend. Gleichzeitig lehnen die meisten ein generelles Verbot ab. Dieser scheinbare Widerspruch zeigt, dass junge Menschen die Ambivalenz von Social Media sehr genau wahrnehmen. Sie wollen nicht ausgeschlossen werden, sondern wünschen sich Unterstützung und klare Regeln, um ihre Nutzung besser steuern zu können.[13]
Daraus folgt eine differenzierte Position. Anstelle eines generellen Verbots setzen wir auf altersbezogene Schutzmaßnahmen, die digitale Teilhabe ermöglichen und gleichzeitig Risiken verringern. Dazu gehören verpflichtende Vorgaben für Plattformen sowie ein deutlicher Ausbau der Medienbildung in Schulen, Jugendarbeit und Elternarbeit.
Ein internationaler Blick zeigt, dass die Ansätze im Umgang mit Social Media vielschichtig sind. In Australien gilt ab Dezember 2025 eine Social-Media-Mindestalter-Regelung. Plattformen müssen Konten von unter 16-Jährigen verhindern. Das Verbot setzt also bei den Plattformen an, nicht bei den Nutzer*innen. Das Verbot hat damit eine reale Vollzugsperspektive.[14] Erste Erfahrungen zeigen jedoch, dass viele junge Menschen das Verbot durch VPN-Dienste[15] umgehen.[16] Ein solches Vorgehen sendet aber dennoch ein gesellschaftliches Signal: Was verboten ist, gilt als riskant. Damit wird die Botschaft verstärkt, dass junge Menschen besonderen Schutz brauchen. Schweden setzt im Gegensatz zu Australien am pädagogischen Raum an und führt ab Herbst 2026 ein landesweites Handyverbot in Schulen und Orten der Nachmittagsbetreuung ein. Damit sollen Konzentration, Sicherheit und Interaktion gestärkt werden, ohne eine generelle Social-Media-Altersgrenze zu erlassen.[17]
Die Vorschläge von Mario Voigt greifen nachvollziehbare Sorgen auf, etwa psychische Belastungen und schulische Überforderung. Sie greifen jedoch zu kurz, wenn sie auf eine pauschale Lösung setzen. Ein generelles Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige ist weder verhältnismäßig, noch praktikabel. Stattdessen fordern wir jugendgerechte Schutzmaßnahmen.
[1] Vgl. Voigt (2025) in der FAZ. Smartphone ab Vierzehn, Social Media ab Sechzehn, erschienen am 14.08.2025.
[2] Vgl. Dreyer (2025) für das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut. Die Hürden eines Social-Media-Verbots in Deutschland: Eine kurze juristische Analyse.
[3] Vgl. Brailovskaia, et al. (2025). Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. hrsg. von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, S. 6ff.
[4] Mit technischen Alterskontrollen sind Verfahren gemeint, die über die bloße Selbstauskunft hinausgehen, zum Beispiel Altersnachweise über Ausweisdokumente, Zahlungsdaten oder biometrische Verfahren.
[5] Vgl. Dreyer (2025) für das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut. Die Hürden eines Social-Media-Verbots in Deutschland: Eine kurze juristische Analyse.
[6] Vgl. Brailovskaia, et al. (2025). Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. hrsg. von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, S. 13ff.
[7] Mit Social Media sind in dieser Position vorrangig plattformbasierte Netzwerke und Content-Sharing-Dienste wie Instagram, TikTok, Snapchat oder YouTube gemeint. Messenger-Dienste wie WhatsApp stehen im Grenzbereich. Sie sind primär Kommunikationsdienste, können aber durch Gruppenfunktionen und Statusmeldungen ähnliche Dynamiken und Risiken erzeugen.
[8] Doomscrolling bezeichnet das zwanghafte Konsumieren negativer Nachrichten in sozialen Medien, obwohl diese eine negative Wirkung auf ihre psychische Gesundheit haben.
[9] Adoleszenz ist die Lebensphase des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsenenalter, die typischerweise im Alter von 10 bis 20 Jahren liegt.
[10] Exekutive Kontrollfunktionen sind geistige Fähigkeiten wie planen, sich konzentrieren und Impulse kontrollieren, die für die bewusste Steuerung des eigenen Verhaltens wichtig sind.
[11] Mit Co-Regulation ist die gemeinsame Gestaltung und Begleitung der Mediennutzung von Jugendlichen durch Erwachsene gemeint. Eltern und pädagogische Fachkräfte setzen dabei klare Regeln, geben Orientierung und unterstützen dabei, selbstständige und verantwortungsbewusste Nutzungsweisen zu entwickeln.
[12] Die Autor*innen des Diskussionspapiers Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, hrsg. von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina empfehlen für Konten von unter 18-Jährigen: Verbot von Werbung für Produkte und Inhalte, die die psychische und physische Gesundheit gefährden können; altersgerechte algorithmische Vorschläge; keine personalisierte Werbung; keine Generierung von Nutzungsprofilen; keine Partneranzeigen; keine Möglichkeit zur werbebasierten Monetarisierung (z. B. bezahlte Produktplatzierung, Affiliate-Links, Sponsoring); Datenschutzrichtlinien und -einstellungen in einfacher und leicht verständlicher Sprache und ergänzend für Konten von unter 16-Jährigen: ausschließlich Inhalte und Interaktionen mit bereits bestätigten Kontakten; kein Live-Streaming (weder Hosting noch passiver Konsum); keine Push-Nachrichten, kein Autoplay und kein endloses Scrollen („infinite scrolling“); S. 39.
[13] Vgl. Vodafone Stiftung (2025). Zwischen Bildschirmzeit und Selbstregulation.
[14] Vgl. eSafetyCommissioner (o. J.). Social media age restrictions.
[15] VPN-Dienste (Virtuelles Privates Netzwerk) verschleiern den eigenen Standort im Internet. Damit können Nutzer*innen zum Beispiel so tun, als wären sie in einem anderen Land, um Sperren oder Altersbeschränkungen zu umgehen.
[16] Vgl. Tagesschau (2025). Australiens Jugendliche umgehen Social-Media-Verbot.
[17] Vgl. Bryant (2025) in The Guardian. Sweden to implement nationwide mobile phone ban in schools.

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